Willkommen in der gelenkten Demokratie, auf Wiedersehen unabhängige Justiz
ÖVP-Ehemann als Gutachter in ÖVP-Verfahren
Will man einen Staat autoritär umbauen und die Demokratie entwerten, sind vor allem zwei Dimensionen besonders gefährdet: Medien und Justiz. Wenn die politische Macht im Land Einfluss auf diese Gewalten nehmen, dann ist die saubere Gewaltentrennung, auf die unsere Demokratie aufbaut, in massiver Gefahr. Die türkis-blaue Regierung war drauf und dran die Unabhängigkeit des ORF zu beschneiden, das neue Mediengesetz ist nur aufgeschoben. Doch auch der Justiz kann keine gänzliche Unabhängigkeit mehr nachgesagt werden. Die ÖVP, seit rund 30 Jahren an der Macht, gefährdet die Unabhängigkeit der Justiz. Dies macht ein Fall beim sogenannten Mediaselect-Verfahren deutlich.
Schon 2013 sorgten Parteienfinanzierungen für Aufregung. Im Laufe des Wahlkampfs 2013 entwickelten sich folgende Vorwürfe: die österreichischen Lotterien, die Raiffeisenbank Oberösterreich und andere Unternehmen, sollen an die Agentur Mediaselect Zahlungen getätigt haben – in einen „ÖVP-Topf“. Peter Hochegger, Lobbyist, behauptete, über seine Unternehmen in den Jahren 2006 und 2007 rund 250.000 Euro an die Mediaselect überwiesen zu haben. Laut Addendum soll die Mediaselect über 10 Jahre, als zentrale Drehscheibe für verdeckte und illegale ÖVP-Parteienfinanzierung gedient haben. Die Ermittlungen laufen.
Ab Mitte 2005 wurde von der Mediaselect sogar ein eigenes Bankkonto eingerichtet, das intern als „ÖVP-Konto“ bezeichnet wurde. Die Parteifinanzierung geschah auch ziemlich offen: via Mediaselect schaltete die ÖVP Zeitungsinserate.
Seit 2012 ermittelt die Justiz. Ab 2013 wurde ein Gutachter engagiert. Er hat die zentrale Frage in Korruptionsprozesse zu erörtern: Was war die Leistung? Im Mediaselect-Verfahren konkreter: Was war die Gegenleistung für die Mediaselect-Zahlungen?
ÖVP-Nähe offensichtlich
Wie das „Profil“ in seiner heutigen Ausgabe berichtet, ist der Gutachter im Mediaselect-Verfahren Georg Jeitler. Und damit willkommen in Orbán-Land: Nicht nur, dass Jeitler ein Klassenkollege von Axel Melchior war. Melchior ist mittlerweile ÖVP-Bundesgeschäftsführer und Kurz-Intimus. Schon das, rückt Jeitler in den Verdacht einer Befangenheit. Allerdings kann niemand etwas für seine Schulkollegen.
Seine Frau sucht man sich allerdings schon aus. Jeitlers Ehefrau ist Carmen Jeitler-Cincelli, schon in den 1990er bei der JVP. 2013 kandidierte sie dann für den Nationalrat, auf einem hinteren Listenplatz in der ÖVP. Damals klappte es noch nicht, doch seit 2017 und dem Kurz-Wahlsieg, sitzt sie Nationalrat. Jeitler ist also mit einer ÖVP-Nationalratsabgeordneten verheiratet und ist zugleich als Sachverständiger in der Causa Mediaselect tätig.
Doch Jeitler hat diese Nähe der Staatsanwaltschaft gemeldet, auch wenn sich für ihn „keinerlei subjektive Befangenheit aus den vorhandenen Kontakten“ ergibt. Brisant: Auch die Staatsanwaltschaft fand an diesen ÖVP-Kontakten nichts besonders und ließ Jeitler mögliche Straftaten der ÖVP überprüfen. Zudem gab Jeitler bei der Staatsanwaltschaft Wien an, dass ihm Kurz und Köstinger bekannt sind. Ein Foto aus dem Jahr 2012 im Wirtschaftsclub Baden beweist das.
Staatsanwaltschaft sieht kein Problem
Zusammengefasst: Die Staatsanwaltschaft beauftragt einen Gutachter in einem Strafverfahren, das sich gegen jene Partei richtet, für die seine Ehefrau im Parlament sitzt. Und obwohl der Gutachter diesen Umstand der Staatsanwaltschaft mitteilt, sieht niemand ein Problem darin.
Ist das eine Bestätigung für eine unabhängige Justiz? Oder für das Gegenteil? Oder ist das genau jenes Erscheinungsbild der Justiz in einer „gesteuerten Demokratie“? Für Peter Pilz (JETZT) ist die Sache klar: „So wie es unüblich ist, Familienmitglieder von Bankräubern in die Bankenaufsicht zu setzen, so kann ein ÖVP-Ehemann nicht Gutachter in einem für die ÖVP gefährlichen Verfahren sein. Der Gutachter Georg Jeitler ist doppelt befangen – als Schulfreund von ÖVP-Bundesgeschäftsführer Axel Melchior und als Ehemann der ÖVP-Abgeordneten Carmen Jeitler-Cincelli.“ Er fordert das Justizministerium auf zu handeln.
Für die ÖVP ist die Causa Mediaselect ohnehin passé. Denn diese dreht sich um eine Zeit, in der die Volkspartei noch Schwarz war. Mittlerweile sei man ja eine Bewegung, in der Farbe Türkis und man heiße nicht mehr „Volkspartei“ sondern „neue Volkspartei“, betont die ÖVP. Jeitler betont, dass er seine Arbeit immer unbeeinflusst durchführt und versucht, die Dinge objektiv einzuordnen.
Alleine die Verbindung zu Kurz-Intimus Axel Melchior wären Grund genug eine Befangenheit auszusprechen. Auch wenn sich niemand seine Schulkollegen aussuchen kann, der Kontakt ist vorhanden, der Gutachter wäre von dieser Sachverständigung abzuziehen. Die Staatsanwaltschaft Wien sah aber bis zuletzt keinen „Anhaltspunkt für eine Befangenheit“.