Altkanzler Kurz – eine Facebook-Intervention und die Schmutzschild-Strategie

Die ÖVP steht seit dem „Schreddergate“ unter Druck. Die ersten Tage der letzten Woche verliefen für die ÖVP äußerst turbulent; noch dazu weilte Kurz in den Staaten. Er konnte die Partei nicht direkt kontrollieren. Seit Tagen befand er sich schon auf Reisen, traf Merkel, Netanyahu und CEOs aus dem Silicon Valley. Doch währenddessen war der Parteikommunikation immer stärker zugesetzt worden.

Out of Message-Control

Die Message-Control bröckelt, das ÖVP-Strategieteam, das den Wahlkampf am Reißbrett plant und konzipiert, gerät aufgrund der täglich neuen Turbulenzen in die Bredouille. Hin zum Wochenende dann die völlige Eskalation: Nachdem verschiedene Büros ein dubioses Schreiben bezüglich der Lukrierung von Parteispenden durch EU-Abgeordnete Barbara Thaler erhalten hatten, spülte die ÖVP selbst per Presseaussendung eine Kinderporno-Anpatzerei an die Öffentlichkeit. Die Nerven der Kommunikationsabteilung liegen blank. Kein Zweifel – im Gegensatz zum Thaler-Brief ist diese sich selbst disqualifizierende Seite völliger Müll und nicht von der ÖVP – doch die ÖVP spülte sie selbständig in die mediale Aufmerksamkeit. Es wird ein „Schmutzschild“ konstruiert, um substanzielle Vorwürfe abzublocken. Die Strategie: Die echten und fundierten Vorwürfe sollen im Schmutzschild untergehen und als nur ein weiterer „Anpatzversuch“ identifiziert und abgewehrt werden.

Der Messias und seine Jünger

Und nachdem das Schmutzschild aufgebaut ist, wendet sich der Kanzler nun an seine Gefolgschaft. Natürlich per Facebook. Üblicherweise haben die Facebook-Postings des Altkanzlers eine ähnliche Form: Hochglänzende, detailliert komponierte Bilder mit ein, bis zwei verallgemeinerten Postulaten des ÖVP-Chefs betitelt. Nun spricht der Führer der Bewegung mit dieser Art der Kommunikation zu seiner Herde.

Denn nun sei es dringend. Jetzt, auch um das Schmutzschild in Zement zu gießen, wendet er sich an seine „lieben Freunde“ mit „persönlichen Zeilen“. Schon das markiert den Bruch. Denn jetzt ist Schluss mit der professionellen, inhaltlichen Arbeit für „unser Österreich“, jetzt hat der ÖVP-Chef sein persönliches Empfinden zu erklären. Weiters: Kurz suggeriert mit den „persönlichen Zeilen“ eine emotionale Ebene, identifiziert eine moralische Verwerfung, die er privat, persönlich und emotional an seine Gefolgschaft weiter zu geben hat. Er muss warnen und aufklären. Er sagt: „Jetzt ist etwas Schlimmes passiert.“

Opferrolle in einem schmutzigen Wahlkampf

Er spricht jetzt nicht als Parteichef, sondern als Mensch. Dann bereitet er seine Gefolgschaft vor, denn jetzt hätte es begonnen, will Kurz sagen: Man wäre wieder in dem Sumpf, den die SPÖ schon im letzten Wahlkampf gelegt hätte, nur dieses Mal graben alle politischen Gegner mit an diesem schmutzigen Tümpel in den der Parteichef hineingeworfen werden soll, um dreckig und angepatzt dazustehen. Man solle nun stark sein, denn sie würden die Veränderung und die positive Entwicklung, die mit Kurz ins Land kam, aufhalten, wären nur damit beschäftigt ihn, den Guten, zu bekämpfen. Sie wären destruktiv, er aber konstruktiv und deshalb muss er leiden. Die Erzählung des Sebastian.

Dann ein paar direkte Fragen an sein Publikum: „Aber ich frage euch: Ist es diese Politik, die wir haben wollen? Wo Politiker auf tiefster Ebene in den Dreck gezogen werden? Wo Hass und Missmut stärker sind, als politischer Gestaltungswille? Wo manche bereit sind, zu allen Mitteln zu greifen?“

Suggestive Fragen, die Balsam sind, weil sie sagen: Keine Sorge, Sebastian ist da für euch. Und: Er macht nicht mit bei „Hass und Missmut“. Er gibt auch gleich selbst die Antwort. Er schreibt: „Das ist jedenfalls nicht mein Verständnis von Politik – und das wird es auch nie sein!“ So endet der erste Absatz, eine große Menge an Lesern wird nicht weiterlesen, denn damit ist alles gesagt. Die Lösung gegen die Anpatzer, der Angepatzte selbst, ist präsentiert – alles gesagt.

Das Evangelium des Sebastian

Doch Kurz legt noch nach: Er sei nur hier, um dem Land zu dienen – vollkommene Selbstlosigkeit gibt er damit vor. Er hat die Rolle des Messias angenommen. Es ist nicht die Karriere, das Geld, der Ruhm, die Macht, was ihn an seiner politischen Berufung inspiriert, es sei allein die Möglichkeit sich für das Land hinzugeben.

Zum Abschluss seiner „persönlichen Zeilen“ setzt es noch einen Aufruf mit faschistoidem Antlitz. Alle (von Kurz in Großbuchstaben getippt), müssen Farbe bekennen, den Chef in persönlichen Gesprächen verteidigen. Damit die Wahrheit sich durchsetze und nicht die destruktiven Kräfte gewinnen, braucht es das gesamte Kollektiv. Nur wenn jeder einzelne alles gibt, für Sebastian Kurz, der aber wieder alles nur für die Menschen gibt, egal ob sie ihn anpatzen oder segnen, können die Kräfte, die gegen ihn stehen und die Veränderung aufhalten, besiegt werden. Völlige Aufgabe, des Individuellen und gänzliche Hingabe für die Idee – in diesem Fall die Idee der Kurz‘schen Veränderung – sind typische faschistische Kernelemente.

Mit dem Text an seine „lieben Freunde“ hat Kurz mit allem, was davor war und mit allem was danach kommt gebrochen. Nun geht es um alles. All in. Kurz erzählt eine einfache Heilsgeschichte. Gut gegen Böse und nur er sei der Gute. Und mit einem echten Bekenntnis schließt man sich ihm an und verteidigt das vermeintlich Gute.

Die Erzählung läuft

Mit dieser Strategie setzte sich der Altkanzler auch zu Armin Wolf ins ZIB2-Studio. Schnell war zu erkennen, wie substanzlos diese Erzählung ist, vor allem dann, wenn ein kritischer Journalist nachfragt. Kritische Fragen werden mit einem Verweis zur SPÖ weggewischt. Seine Körpersprache wirkte unsicher, stellenweise aggressiv, seine wild fuchtelnden Hände kamen Wolf immer näher, als wollte er ihn wortwörtlich angreifen. Ganz anders als jener Kurz, der auf seinen Werbefotos als ungreifbar und erhaben erscheint. Er ist schnell entzaubert, ist eben nur ein Mensch. Er habe keine Wahrnehmungen zu den Vorgängen, flüchtet sich in Referenzen auf andere Parteien. Es werde versucht zu skandalisieren, bloß andere würden lügen. Kurz zieht Vorwürfe ins Lächerliche („Hätten wir das Ibiza-Video ausdrucken sollen?“) und betont immer wieder: Ich will nur an die Macht, um dem Land dienen zu „dürfen“.

Die ÖVP steht gehörig unter Druck; so sehr wie noch nie seit Kurz die Macht übernahm. Sie wird kaum mehr Inhalte spielen, stattdessen haben sich die WählerInnen nun zu entscheiden zwischen den Anpatzern und den Guten. Das Schmutzschild ist gebaut, der Spin läuft.  

Wahlkampf 2019 aktuell

Spendenformular