Talk Europe #offenegesellschaft

3. Veranstaltung am 03.04. in WIEN

The Dictatorship of Feeling

Eine spannende Runde fand sich am 16.04.2019 auf Einladung des Bildungsvereins #offenegesellschaft in der Grazer AULA x Space ein: Starautorin Catherine Millet und JETZT-Chefin Maria Stern waren zum vierten „Talk Europe“ geladen. Die Fragen über Sexualität, Emotion und Identitätspolitik stellte Philosoph Robert Pfaller.

Die Krise 2008 mitsamt fehlgeleiteter politischer Maßnahmen (Austeritätspolitik) führte – befeuert durch die Logik der Mediendemokratie – zur Bildung von Echokammern und letztlich zu einer gespaltenen Gesellschaft. Vereinfacht ausgedrückt: ‚Ich hab‘ recht, weil ich so fühle. Du liegst falsch und bist mein Feind.‘

Neoliberalismus als Pervertierung einer liberalen Gesellschaft

Nach Robert Pfallers Auffassung müsse man darüber nachdenken, ob dies auch eine Folge eines verinnerlichten Neoliberalismus sei, der Solidarität mit Andersdenkenden schon im Ansatz verunmöglicht und klassisch liberale Ansätze damit ad absurdum führe. Die Spaltung in Wir/Ihr, Schwarz/Weiß, Gut/Böse macht es zunehmend schwer, differenzierte Diskurse zu führen. Zu schnelles Urteilen und das Instrumentalisieren gefühlsbeladener Themen hat eine Stimmung des Misstrauens und der Selbstkontrolle im Denken geschaffen. Es geht nur noch darum, im eigenen Milieu nicht als VerräterIn dazustehen.

#metoo und die Folgen

Dies betrifft, beispielsweise im Diskurs von #metoo, insbesondere die Linke. Catherine Millet berichtet erfrischend gelassen über die Auseinandersetzung mit #metoo, die in Frankreich erheblich mehr Zwischentöne zuließ als in Österreich. Die prominente Autorin warnt vor Denunzierungen innerhalb linker Kreise, die sie, u.a. in der Kunstszene, an die Auswüchse der McCarthy-Ära erinnern würden.

Maria Stern bereiten die skizzierten Entwicklungen – insbesondere im Wissen um die Geschichte am Balkan, wo die zunehmende Emotionalisierung und Nutzbarmachung niederer Instinkte im Krieg endete – Sorgen. Sie thematisiert auch den Erfolg der Rechten. Diesen sei es gelungen, zentrale Frauenthemen emotional umzudeuten und sich schützend vor “unsere Frauen” zu stellen, welche vor allem Opfer der „Anderen“ wären. Dies, so Stern, sei ein wesentlicher Faktor für den großen Wahlerfolg der FPÖ gewesen.

Feminismus und Kritik

Zudem stellt sie die Vermutung an, dass der Erfolg der historisch wichtigen und von ihr begrüßten #metoo-Bewegung auch auf dem Marketingkonzept “Sex Sells” fußt. Dies erklärt, so Stern, warum die anschließende und ebenfalls wichtige Kampagne #Time‘sUp im Vergleich relativ erfolglos war.

Sie erinnert an die US-Autorin Margaret Atwood („The Handmaid’s Tale“), die plötzlich als schlechte Feministin galt, weil sie es wagte, den Rechtsstaat einer Hexenjagd gleichenden Medienjustiz vorzuziehen. Atwood zog den Unmut vieler Feministinnen auf sich, als sie sich hinter einen Mann stellte, der – wegen haltloser Beschuldigung sexueller Übergriffe – seinen Job an einer bekannten Universität verlor.

Die Conclusio des Abends: Wo Licht ist, ist auch Schatten. Wir dürfen beides sehen.

Video der Veranstaltung folgt in Kürze.

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